Österreich: Bundespräsidentenwahl oder die Parabel von Grün und Blau

18.5.2016: 4 Tage bis zur Stichwahl

2 polarisierende Bundespräsidenten-Kandidaten

Noch 4 Tage bis zur Stichwahl zum Bundespräsidenten in Österreich. Norbert Hofer von der FPÖ und Alexander van der Bellen, unabhängiger Kandidat für die Grünen, sind noch im Rennen. Zwei Kandidaten wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten.

Hofer, der Burschenschaftler

Auf der einen Seite so ein fescher Mann, ein grader Michel, einer der redet und grinst als wäre er von einem Teddybären besessen. Einer aus dem Volk, einer der völlig zu Unrecht für einen extremen Rechten gehalten wird. (Ich meine nur wegen seines Fremdenhasses. Gut, und weil er sich gerne mit einer Kornblume schmückt, die das geheime Erkennungsmerkmal der NSDAP war.) Einer der für … äääh für was eigentlich … also gegen Flüchtlinge, gegen Islam, gegen Europa, und für … ähm, hmmm, für …. für dagegen ist! Einer der am liebsten in der Zeit zurückreisen wollen würde. Sagen wir mal so ca. 78 Jahre.

Van der Bellen, der Herr Doktor

Auf der anderen ein über 70-jähriger Wirtschaftsprofessor, ein Vorreiter in sozialen Fragen, ein intelligenter und diplomatisch geschickter Redner, der aus seiner Tabaksucht keinen Hehl macht, einer der als Flüchtlingskind nach dem zweiten Weltkrieg nach Österreich gekommen war, ein weltoffener Mensch, der für Pluralismus, eine offene Gesellschaft und moralische und zivilisatorische Werte eintritt. Einer, der es schafft, umweltpolitische, ethische und ökonomische Aspekte unter einen Hut zu bringen. Sprich ein „Kommunist“!!!

Kopf-an-Kopf-Rennen & 2 Lager

Ganz klar also. Es soll eine ganz enge Kiste werden. Umfragen haben ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert. Oder wie man in Österreich sagt. Sackhüpfen siamesischer Zwillinge. Zur Sicherheit: sagt man nicht wirklich! Die gesamte Gesellschaft ist in zwei Lager geteilt.

Die linke Ecke

linke, elitäre, Gut-Besser-Gösser-Menschen, dieses eingebildete-dekadente-Bildungsbürgertum, die-Elfenbeinturm-Intellektuellen, die womöglich noch auf Raves gehen, und — bei Gott — vielleicht sogar gendern! Die — man stellt sich das mal vor! — in-der-Hymne-auch-Heimat-großer-Söhne–Töchter-statt-nur-der-Söhne-Sänger, solche wir-finden-jetzt–aber–schon–auf–institutioneller–Ebene-muss-mehr getan–werden-und-deshalb-freitags-kein-Fleisch-mehr-in-der-Kantine-Befürworter. Diese links-versifften-Bazillen-Wähler, die „Grünen“!

Die rechte Ecke

Und auf der anderen solche also-ich-will-ja-schon-eine-gebildete-Frau–aber–wo-kommen-wir-denn-dahin-wenn-kein-Elternteil-beim-Kind-zuhause-bleibt-dann-würde-das-ja-vielleicht-noch-schwul–werden und nein-ich-hab-nichts-gegen-Schwule-ich-hab-sogar-einen-guten-Freund-der-is-ne-Schwuchtel-und natürlich-kann-ich-selber-nicht-in-Karrenz-gehen-was-würden-denn-meine-Fußballspezeln-denken-Menschen. Diese ihr-da-oben-verprasst-unsere-Steuergelder-für-entartete-Theaterkunst-von-Elfriede-Jelinek-Nestbeschmutzung-und-dann-das-Ganze-auch-noch-mit-Flüchtlingen-aufgeführt-während-wir-harte Arbeit-verrichten-und-dafür-sorgen-dass-Österreich-noch-Österreich-bleibt-Multi-Kulti-Hasser. Diese Alkohol-verherrlichenden-dumme-Nazis-hey-lass-uns-doch-heute-ein paar-Asylanten-verprügeln-ja-voll-die-gute-Idee-Proleten, kurz die FPÖler.

Kein Dialog, keine Vernunft

fpoe-gruene-gutmensch-2Außer Beschimpfungen werden kaum Worte gewechselt. Immer dieselbe Leier.

Rechts: Vergewaltigungen, Messerstechereien, Drogenhandel, Bandenkriege etc. Und der van der Bellen redet von Willkommenskultur!? Seid ihr blind oder taub, oder fehlt es euch an Intelligenz, oder ist das alles eine große Psychose!? Stockholmsyndrom oder was!? Ihr tretet Österreich mit Füßen!? Eure Kinder und Kindes-Kinder werden euch verfluchen! Verfickte Multi-Kultis alle!

Links: Ein rechtsradikaler Burschenschafter, ein Nazi-Sympathisant, ein Blauer, nein ein Blauner. Ein Rückständiger, einer der Solchen, so ein Stammtischprolet, der Österreich in die Steinzeit katapultieren will, von wegen Kriminelle, die einzigen Kriminellen sind die Blauen, Hyposkandal und so weiter. Dumme Nazis alle!

Scheidungen, Kündigungen & Trennungen

Innerhalb von Familien, Ehepaaren, Arbeitgeber-Arbeitnehmerkonstellationen ja selbst zwischen siamesischen Zwillingen gibt es Zwist, welche der beiden Bewegungen für die Zukunft Österreichs geeigneter wäre. In den 2 Wochen vor der Wahl gibt es einen 750%-igen Anstieg von Ehescheidungen, 470%-igen Anstieg von Enterbungen und einen 390%-igen Anstieg von Trennungsoperationen siamesischer Zwillinge.

20.5.2016: Endphase des Wahlkampfes

Die Wahlkampagnen werden immer schmutziger. Die FPÖ mobilisiert ihre prototypischen Anhänger: jung-männlich-ungebildet-gewaltbereit. In gewohnt gekonnter Reimform und eingesungen von Andreas Gabalier.

Ich lieb’ von Herzen meine Frau
Doch wählt sie grün, schlag ich sie blau.

Christoph Waltz und zahlreiche andere prominente Österreicher geben eine Wahlempfehlung ab: für Grün und van der Bellen. Auch Arnold Schwarzenegger gibt eine Wahlempfehlung ab: für Donald Trump. Keine Ahnung wie das hier reinkommt.

22.5.2016: Großer Wahltag in Österreich

Es kommt wie es kommen musste. Selbst nach wiederholter Auszählung jeder einzelnen abgegebenen Stimme ist das endgültige Ergebnis exakt 50:50. Auf die Stimme genau! Dummerweise hatte eine gerade Anzahl an Bürgern ihre Stimme abgegeben. Was sollte man machen!? Die Verwirrung war groß! Was sagen die Gesetzbücher dazu? Keine Ahnung, nie zuvor war so etwas passiert. Man beschließt Neuwahlen.

29.5.2016: Wieder 50:50 nach kompletter Auszählung

Dritter Durchgang und erneute Stimmenauszählung. Wahlbeteiligung unglaubliche 100% der wahlberechtigten Bevölkerung. Ein sensationeller Rekord! Österreich hat 8.721.832 Einwohner. Und wieder 50:50. Wieder großes Rätselraten. Wieder: Was soll man machen? Wieder: Noch mal wählen? Sinnlos. Bürgerkrieg? Nein, das geht dann doch zu weit.

1.6.2016: Eine Kompromisslösung

Eine Lösung ist gefunden. Beide Kandidaten teilen sich die Bundespräsidentschaft und gründen eine 2-er WG in der Hofburg. Die beiden frühstücken gemeinsam, unterzeichnen diverse belanglose Dokumente, und abends kochen sie gemeinsam und schlafen auf der Couch bei der Wer-wird-Millionär Show gemütlich nebeneinander ein. Alles friedlich. Das Land ist geeint.

2.6.2016: Streit in der WG & erneute Eskalation

Schon am zweiten Amtstag kommt es zu Differenzen. Ein harmloser Streit — es geht um eine nicht sauber abgespülte Kaffeetasse — eskaliert. Bald sind die Flüchtlinge dafür schuld, bald geht es um die Rolle der modernen Frau, bald um die korrekte Genderbezeichnung für Conchita Wurst.

„Er hat a Zumpferl, also ganz klar. des is a Manderl, no dazu a Schwuchtel“, sagt Hofer.

Van der Bellen widerspricht. „Conchita wählt sich ihr Gender nach ihrem eigenen Ermessen. Biologisches Geschlecht ist laut Judith Butler auch nur sozial konstruiert. Als Kunstfigur ist Conchita eindeutig weiblich.“

Die darauf folgende Diskussion ist sinnlos. Keiner versteht die Sprache des anderen. Hofer ist schon bei biologisch ausgestiegen. Die Fronten lassen sich nicht glätten. Kein Dialog und kein Wille für Kompromisse sind erkennbar. Das Land ist völlig in zwei Hälften zerbrochen. Eine neue Lösung muss her.

5.6. 2016: Teilung der Republik

Die beiden Bundespräsidenten erklären in einer offiziellen Pressekonferenz eine sofort-gültige Teilung der ehemaligen Republik in zwei Länder. Bei der Namensaufteilung ist man sich endlich mal schnell einig. Das grüne Lager bekommt „Öster“ zugesprochen, das blaue Lager bekommt Reich endlich — endlich! — ihr eigenes „Reich“. Alle sind glücklich.

9.6.2016: Grenzen werden gezogen

Der Grenzverlauf der beiden Länder gestaltet sich problematisch. Geographische Grenzen sind zwecklos, sind die beiden Lager doch in allen Städten und Dörfern, ja selbst in Familien, Arbeitsplätzen, Wirtshäusern und Fußballvereinen beiderseits vertreten. Man beginnt alle Straßen, Wohnzimmer und Lokale mit Klebebändern in zwei Seiten aufzuteilen. Eine Seite wird grün angemalt, die andere blau. Es gibt blaue Häuser und grüne Häuser, grüne Flüsse und blaue Flüsse, grüne Badeseen und blaue Badeseen, selbst Schigebiete werden feinst säuberlich aufgeteilt in grüne und blaue Schipisten. In den Schiliften gibt es blaue und grüne Sessel. Immer abwechselnd soll im Winter dann die grüne und die blaue Seite der Schlange in den Lift einsteigen, mit blauen und grünen Helmen versehen. Tiere, Vögel, Kühe. Alles wird abgezählt und mit einer fairen Quotenregelung aufgeteilt. Blau Grün Blau Grün Blau Grün. Armbänder werden verteilt für grüne und für blaue Menschen. Selbst die Fußball-Bundesliga und auch das Fußballnationalteam werden in zwei Gruppen und zwei Teams gespalten. Blau und Grün. Fußballplätze. Fußballstadien Blau und Grün.

25.6.2016: Neue Lagerbildung

Erneut kommt es zum Streit. Diesmal nicht zwischen den beiden Lagern, sondern innerhalb der jeweiligen Lager. Wieder zwei Fronten, diesmal auf beiden Seiten. Jeweils ein extremerer Flügel. Ihr seid viel zu lasch in euren Ansichten, viel zu kompromissbereit in euren Positionen, heißt es jeweils vom äußeren Flügel. Zu engstirnig, zu stur und zu realitätsfern heißt es vom anderen Flügel.

29.6.2016: Noch mal neue Neuwahlen

Sowohl in Grün-Öster, als auch in Blau-Reich kommt es zu erneuten Wahlen.

2.7.2016: Wieder 50:50 & 50:50

Wieder und zwar auf beiden Seiten, 50:50.

3.7.2016 Neuteilung zum Zweiten

Wieder wird die Macht aufgeteilt. Wieder kommt es zu Streit. wieder zu einer Aufspaltung. Das ehemalige Österreich ist nun in vier Teile aufgeteilt. Dunkelgrün-hellgrün-hellblau-dunkelblau.

7.7.2016: Neuteilung zum Dritten

Österreich wird in 16 gleich große Teile aufgeteilt.

31.7.2016: Die 23. Wahl führt zu Chaos

Die 23. Wahl innerhalb von zwei Monaten. Mittlerweile besteht das ehemalige Österreich aus exakt 2hoch23, das macht nach Adam Riese 8388608 Kleinststaaten, ein jedes einzelne hat eine eigene Farbabstufung zwischen Grün und Blau und einen eigenen Bundespräsidenten. Keiner redet mehr mit den anderen Lagern. Der Weg zur Arbeit wird aufgrund der vielen Grenzen und Aufteilungen immer schwieriger. Nicht nur für Farbenblinde.

1.8.2016: Grün und Blau: was ist das?

Ein weiser alter Mann kommt zu Besuch in das ehemalige österreichische Staatsgebiet. Der alte Mann wuchs in einem Stamm im Amazonas auf. Seine Sprache kennt keine Unterscheidung zwischen Grün und Blau. Für ihn sehen alle Häuser und alle Menschen gleich aus. Er sieht keine Grenzen und redet mit den Menschen. Die Menschen tun es ihm nach. Nach und nach erkennt man, dass sich Grenzen, Konflikte und Meinungsverschiedenheiten nur durch möglichst unvoreingenommene Kommunikation lösen lassen.

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